Indikation / Genetik
Zytogenetische Untersuchungen von Abortmaterialien haben gezeigt, dass bei Frühaborten zu ca. 60 % und bei Spätaborten zu ca. 30 % chromosomale Störungen vorliegen.
Bei Frühaborten sind 95 Prozent der Chromosomenanomalien numerischer und 3-5 Prozent struktureller Art (siehe Tabelle 1). Bei den Zahlenanomalien werden 50 Prozent als Trisomien (einfache oder doppelte), 20 Prozent als Monosomien (meist eines Geschlechtschromosoms) und 15 Prozent als Triploidien oder Tetraploidien registriert. Diese Veränderungen liegen zu 95 Prozent in allen Zellen – in fünf Prozent nur in einigen Zellen (Mosaik) – vor.
Tabelle 1: Häufigkeit von Chromosomenstörungen bei Frühaborten
Chromosomenstörung bei Frühaborten | Häufigkeit |
Numerische Störungen | 95 % |
1. Trisomien | 50 % |
2. Monosomien | 20-25 % |
3. Triploidien | 15 % |
4. Tetraploidien | 5 % |
Strukturelle Störungen | 5 % |
Literatur: H. Göcke, G. Schwanitz, I. Murador, K. Zerres: Pathologe, 6, 249-259, 1985
Trisomien sind die häufigsten Störungsformen bei Frühaborten. Die Häufigkeit eines bestimmten Chromosoms als Ursache eines Trisomieaborts ist unterschiedlich (Tabelle 2).
Tabelle 2: Häufigkeiten von Trisomien einzelner Chromosomen
Chromosom
(Autosom) |
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 |
Häufigkeit einer Trisomie [%] | nicht
bekannt |
2 | 0,5 | 4 | 0,5 | 1,5 | 4 | 3 | 2 | 0,5 | 0,5 |
Chromosom
(Autosom) |
12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 |
Häufigkeit einer Trisomie [%] | 2 | 5 | 2 | 7 | 25 | 1 | 2 | nicht
bekannt |
3 | 13 | 14 |
Literatur: Hassold, N. Chen, J. Funkhouser: Ann. Hum. Genet., 44, 151, 1980
Die häufigste Trisomie ist die Trisomie 16. Sie liegt in etwa einem Drittel aller Frühaborte vor und wird meist bei gestörten Schwangerschaften ohne Embryoentwicklung (sog. Windei) festgestellt. Man kennt keine lebend geborenen Kinder mit einer vollständigen Trisomie 16.
Das durchschnittliche Alter von Frauen mit Trisomieaborten ist gegenüber dem mittleren Gebäralter der Durchschnittsbevölkerung erhöht. 90 Prozent aller trisomen Aneuploidien entstehen in der ersten meiotischen Teilung (Reduktionsteilung). Lediglich 10 Prozent der Trisomien sind durch Störungen der zweiten meiotischen Teilung bedingt.
Die zweithäufigste Chromosomenstörung als Abortursache sind Monosomien. Annähernd einhundert Prozent gehen dabei auf den Verlust eines Geschlechtschromosoms zurück. Es entsteht somit der Karyotyp 45,X (Karyotyp des Turner-Syndroms). Man schätzt, dass 98 von 100 Zygoten mit dem Karyotyp 45,X zum Abort führen. Die Entstehung eines 45,X Karyotyps kann sich sowohl in der elterlichen Meiose als auch in der Zygote ereignen. Eine postzygotische Verteilungsstörung führt häufig zu verschiedenen Mosaikformen.
Triploidien sind die dritthäufigste Chromosomenanomalie bei Frühaborten. Sie sind mikroskopisch an stark vergrößerten Chorionzotten von blasenähnlicher Struktur erkennbar und die häufigste Ursache für partielle Blasenmolen.
Eine Assoziation von Triploidieaborten mit einem erhöhten Alter des Vaters wird vermutet.
Strukturanomalien als Ursache von Frühaborten spielen eine untergeordnete Rolle. Extrem selten treten Strukturveränderungen de novo auf. In den meisten Fällen handelt es sich um familiäre reziproke Translokationen, die im Abortmaterial in unbalancierter Form, also als partielle Monosomie oder Trisomie eines Chromosoms, vorliegen. Auch Inversionen können bei der Vererbung zu unbalancierten Karyotypen führen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind.
Zytogenetische Untersuchungen von Abortmaterial sollte bevorzugt bei Frauen mit gehäuften Aborten (mehr als zwei) durchgeführt werden, insbesondere dann, wenn bei vorausgegangenen Aborten mit feingeweblicher Untersuchung der Verdacht auf eine Chromosomenanomalie geäußert wurde. In einem solchen Fall ist auch eine Chromosomenuntersuchung an Blutzellen der Eltern indiziert. Die Chromosomenanalyse des Abortmaterials kann eine Abgrenzung zu anderen Störfaktoren z. B. exogener Art ermöglichen.